Dyskalkulie – was ist das eigentlich?

Entwicklung des Mengen und Zahlenbegriffs
Kleinkinder bilden einen Begriff von Größen und Mengen, indem sie mit den Dingen hantieren. Sie sortieren die Dinge nach Formen, Farben oder anderen Kriterien und erwerben damit die Grundlagen für das Verständnis von Mengen und Mächtigkeiten. Sie setzten Bauklötze aufeinander und erkennen, dass „mehr Steine übereinander“ bedeutet: „der Turm wird größer“ – eine wesentliche Erfahrung für den späteren Erwerb des Zahlenbegriffs.

Im Kindergartenalter beginnen Kinder zu zählen, d. h. jedem Ding wird eine Zahl zugeordnet und am Schluss weiß man „wie viel“ es ist. Es fügt Mengen zusammen und erlebt, was „dreimal“ bedeutet. Es lernt, dass Zahlen ein Symbol für eine bestimmte Anzahl oder Größe sind.

Mit Eintritt in die Schule wird der Umgang mit Mengen und Größen immer abstrakter. Begriffe wie „plus“, „minus“ und „geteilt durch“ entsprechen nicht der Alltagssprache der Kinder, sondern meinen bestimmte Rechenoperationen, werden zur mathematischen Fachsprache. Wenn dieser Übergang vom konkreten ins abstrakte Handeln nicht gelingt und Rechenfertigkeiten im Zählen verbleiben, spricht man von Dyskalkulie.

Definition
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Dyskalkulie als sog. schulische Entwicklungsstörung: „Diese Störung beinhaltet eine umschriebene Beeinträchtigung von Rechenfertigkeiten, die nicht allein durch eine allgemeine Intelligenzminderung oder eine eindeutig unangemessene Beschulung erklärbar ist. Das Defizit betrifft die Beherrschung grundlegender Rechenfertigkeiten wie Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division, weniger die höheren mathematischen Fertigkeiten, die für Algebra, Trigonometrie, Geometrie und Differential- sowie Integralrechnung benötigt werden.“ (vgl. ICD 10, F81.2)

Diagnose
Kinder mit einer Dyskalkulie werden oft erst sehr spät bemerkt, da sie die fehlende Rechenfertigkeit meist durch Zählen kompensieren (sogar im Zahlenraum bis 100). Zudem kann auch die „Trefferquote“ mit einer falschen Strategie noch recht hoch sein. Erst bei größeren Zahlen und komplexeren Aufgaben fallen dann die Schwierigkeiten auf.
Die sehr individuell ausgeprägten Schwierigkeiten lassen sich nur von einer Fachkraft (LerntherapeutIn, Kinder- und Jugendlichenpsychiater) mithilfe einer umfangreichen Diagnostik erfassen.

Anerkennung als Teilleistungsstörung
In NRW gibt es keinen „Dyskalkulie-Erlass“, der den betroffenen Kindern einen Nachteilsausgleich und Fördermaßnahmen gewährt. Wir legen daher sehr viel Wert auf die Kooperation mit der Schule, um individuelle Maßnahmen mit den Lehrkräften abzustimmen. Im Rahmen ihres pädagogischen Auftrags können Lehrer auch Kindern mit Dyskalkulie – ähnlich wie bei den Kindern mit einer LRS – einen Nachteilsausgleich gewähren, z. B. indem sie ihnen andere oder weniger Aufgaben geben.

Welche Hinweise auf eine Dyskalkulie erkennen Eltern und Lehrer?
Zuerst fällt auf, dass die Kinder in den Grundrechenarten große Probleme haben. Sie sehen Zahlen nicht als Repräsentanten von Mengen an, können schlecht schätzen und überschlagen, was mehr und was weniger ist.

Sie verwechseln auch in den höheren Schulklassen noch „plus“ und „minus“, verstehen nicht, dass man bei „24-18“ nicht einfach die jeweils kleinere Zahl von der größeren abziehen kann und verwechseln bei Divisionsaufgaben Zähler und Teiler. Das kleine 1mal1 können sie sich kaum merken und haben – je nach Ausprägungsgrad der Schwierigkeiten – eine unzureichende Vorstellung von Mengen und Größen.

Rechenschwache Kinder verharren oft zu lange in der zählenden Strategie und bilden oft umständliche Rechenwege, bei denen die einzelnen Schritte im Arbeitsspeicher verloren gehen und das Ziel der Aufgabe verschwimmt.

Oft finden sich auch Hinweise, die nicht unmittelbar mit der Mathematik in Verbindung stehen: die Uhr nicht lesen können, ein schlechtes Zeitgefühl, Schwierigkeiten beim Gruppieren, Vermeidung von kleinen Aufträgen, bei denen Mengen oder Maße eine Rolle spielen.